STUMMFILMZEIT


1895 - 1927

 

Die erste öffentliche Filmvorführung in Europa wird den Brüdern Skladanowsky zugeschrieben. Am 1. November 1895 präsentierten sie mit ihrem Bioskop eine 15minütige Aufführung von kurzen Filmen im Rahmen eines Unterhaltungsprogramms im Berliner Varieté Wintergarten. Zur selben Zeit erfanden die Brüder Lumière ihren Cinématographen, den sie am 28. Dezember 1895 in Paris erstmals öffentlich präsentierten. Da die Lumière als Fabrikanten und Großbürger über das nötige Kapital und Kontakte zur Wirtschaft verfügten, aber auch da der Cinématographe sowohl Aufnahme- als auch Wiedergabegerät war, konnte sich ihre Erfindung in den folgenden Jahren behaupten.

Die ersten Filme waren meist nur einige Sekunden lang und zeigten Szenen aus dem alltäglichen Leben, manchmal aber auch gespielte Witz-Szenen. Ihre Faszination lag vorerst in der Machbarkeit der maschinellen Wiedergabe von Szenen. Erst später setzte das Interesse an freier Handlung ein.

Die ersten Filme wurden in Varieté-Theatern vorgeführt und waren in erster Linie der Mittelschicht vorbehalten. Noch vor 1900 wurden die Apparate der Lumière aber auch an Schausteller verliehen und verkauft, die zuerst als Nebenerwerb, später als Wanderkinobetreiber aber auch im Haupterwerb Kurzfilme präsentierten. Französische Filmgesellschaften dominierten bis zum Ersten Weltkrieg den weltweiten Filmmarkt. Großbritannien, Italien, Deutschland, Dänemark und die Vereinigten Staaten konnten Frankreich, das als erstes das wirtschaftliche Potential des Films erkannt hatte, erst ab 1914 Marktanteile abknöpfen.

Mit Anstieg des Bekanntheits- und Popularitätsgrades des Films entstanden auch erste ortsfeste Kinos, die nun auf laufend neue Filmaufnahmen angewiesen waren, um Besucher anzulocken. In Deutschland nannte man die ersten Kinos Kintöppe, in den USA wurden sie häufig als Nickelodeons bezeichnet.

Da die Brüder Lumière den Film nur als eine Ergänzung zur Fotografie sehen – sie sprechen von „lebender Fotografie“ –, beschränken sie sich in ihrer Arbeit auf die Dokumentation realer Ereignisse. Der französische Illusionist und Theaterbesitzer Georges Méliès ist jedoch der erste, der das narrative (erzählende) Potential des jungen Mediums erkennt und ausschließlich inszenierte Filme dreht. Für die Umsetzung seiner weitgehend phantastischen Stoffe und Szenen entwickelt Méliès bereits Filmtricks, wie z. B. das Stop-Motion-Verfahren, die noch heute angewandt werden.

Der Brite George Albert Smith präsentierte 1902 mit The Little Doctor zum ersten Mal die Nahaufnahme einer Katze und legte dadurch einen Grundstein für filmisches Erzählen. Durch den Perspektivenwechsel, durch die Variation der Bildgrössen und folglich durch die Montage, die diese Wechsel in einen Rhythmus bringt, entwickelt sich in den folgenden Jahren eine Filmsprache. Als wegweisend für den erzählenden Film wird der 12-minütige Film Der große Eisenbahnraub (1903) von Edwin S. Porter angesehen. In diesem ersten Western wird ein Eisenbahnüberfall von der Durchführung über die Flucht bis hin zum Showdown geschildert.

Ab 1910 ließen sich in Hollywood verschiedene Filmschaffende nieder, unter ihnen William Fox, Samuel Goldwyn und Adolph Zukor, und legten den Grundstein für die spätere „Traumfabrik“. Grund für die Wahl Kaliforniens war zum einen die große Entfernung von den brancheninternen Revierkämpfen an der Ostküste, zum anderen das sonnige Wetter: Aufgrund des relativ lichtunempfindlichen Filmmaterials und des damaligen Standes in der Lichttechnik war Tageslicht die wichtigste Beleuchtungsquelle beim Dreh. Auch die „Kunst des Erzählens“ wurde in den 1910er Jahren perfektioniert, und zwar auch außerhalb der Vereinigten Staaten. Italienische Monumentalfilme, Cabiria (1914), u. a. setzten Maßstäbe in Sachen Produktionsaufwand. Bekannter und einflussreicher sind jedoch die Filme des Amerikaners D. W. Griffith, aus denen Die Geburt einer Nation (1915) und Intoleranz (1916) als Meilensteine herausragen.

Der Erste Weltkrieg isolierte die Filmwirtschaften der beiden Bündnissysteme voneinander und beanspruchte Rohstoffe, die auch zur Filmherstellung notwendig waren, was für das international orientierte und produktionsstarke Frankreich einen schweren Rückschlag bedeutete. Für andere Länder wiederum, wie etwa Österreich oder Deutschland, bedeutete der Erste Weltkrieg eine Entledigung von der bis dahin so starken ausländischen Konkurrenz. In Deutschland wurden gegen Ende des Ersten Weltkriegs die UFA-Studios gegründet, die ursprünglich als Propagandainstrument geplant waren. Sie entwickelten sich nach dem Krieg zu einer der weltweit wichtigsten Produktionsstätten von Filmen in den 1920er Jahren. Zugleich konnte sich die Filmwirtschaft im von den Kriegsschauplätzen weit entfernten Hollywood immer mehr entfalten, wodurch die US-amerikanische Filmindustrie nach dem Ersten Weltkrieg die Vormachtstellung Frankreichs ablösen konnte. Dies führte Mitte der 1920er Jahre so weit, dass die europäischen Länder Importbeschränkungen erlassen mussten, um die eigene Filmwirtschaft vor der US-amerikanischen Filmflut und somit vor dem Untergang zu retten.

Sehr beliebt beim Publikum waren Slapstick-Komödien, deren bekanntester Vertreter, Charlie Chaplin, schon in den 1910er Jahren mit kurzen Sketchen großen Erfolg hatte. Mit The Kid (1921) drehte er seinen ersten abendfüllenden Film. Auch Buster Keaton war ein Star des Slapsticks und wegen seiner regungslose Mimik bekannt. Während Chaplin auch in der Tonfilmära noch künstlerisch tätig war, bedeutete das Ende des Stummfilms das Ende der Karriere Keatons.

In Europa bestand seit den 1910er Jahren ein besonderes Interesse am kunstvollen Film. Daraus entwickelte sich Schritt für Schritt die Avantgarde des Stummfilms. Der deutsche und österreichische Film dieser Zeit entwickelte eine besondere Ästhetik, die sich an der expressionistischen Malerei orientierte. Als erster expressionistischer Film gilt Das Cabinet des Dr. Caligari (1919) von Robert Wiene.

Die russische Avantgarde zählt Künstler wie Sergej Eisenstein in ihren Reihen, der die Montagetechnik maßgeblich beeinflusste. Sein bekanntester Film, Panzerkreuzer Potemkin (1925) erzählt von einem Aufstand auf dem gleichnamigen Schiff und der Konfrontation der Meuterer mit der russischen Armee in Odessa. Einige Szenen aus dem Film, darunter die Treppenszene in Odessa, gehören zu den meistzitierten in der Filmgeschichte.